"Weltrekord? Das ist mir nicht wichtig"
Ingo Kahlisch (67) hat zu DDR-Zeiten auf Zweitliga-Niveau Fußball gespielt. Seit dem 1. Juli 1989 - heute vor 35 Jahren - ist der Potsdamer beim heutigen Oberligisten Optik Rathenow Trainer. Der Verein aus Brandenburg spielte in den 90er-Jahren phasenweise auf Drittligalevel, pendelt seitdem zwischen vierter und fünfter Liga. Nach insgesamt sieben Spielzeiten in der viertklassigen Regionalliga tritt Rathenow nun wieder in der NOFV-Oberliga Nord an. Fußball-Lehrer Kahlisch lässt im FUSSBALL.DE-Interview 35 Jahre Revue passieren.
FUSSBALL.DE: Herr Kahlisch, lassen Sie uns über Ihre 35 Jahre als Trainer bei Optik Rathenow sprechen.
Ingo Kahlisch: Ich gucke gar nicht so gerne zurück, ich gucke lieber nach vorne.
Aber 35 Jahre als Trainer bei einem Verein sind schon etwas sehr Besonderes.
"Die Spieler hätten keinen Respekt vor mir, wenn ich wie ein General dastehen würde"
Kahlisch: Wenn ein Arbeiter 45 Jahre bei VW am Band arbeitet, fragt niemand danach.
Aber Trainer haben üblicherweise eine wesentlich kürzere Verweildauer. Erinnern Sie sich noch an das erste Spiel mit Rathenow?
Kahlisch: Ja, das war ein 0:0 gegen Motor Babelsberg. Unser ehemaliger sowjetischer Nationaltorwart Vyacheslav Chanov hat überragend gehalten.
Führen Sie eine Statistik über Ihre Spiele?
Kahlisch: Nein, so etwas ist nichts für mich.
Es sind sicher deutlich mehr als 1000 Spiele. Welche Partien blieben besonders in Erinnerung?
Kahlisch: Es gibt viele besondere. Die DFB-Pokal-Spiele 2013 und 2014 gegen den FSV Frankfurt (1:3 nach Verlängerung; Anm. d. Red.) und den FC St. Pauli (1:3) gehören sicher dazu.
Haben Sie sich in den 35 Jahren als Trainer verändert?
Kahlisch: Ich stand immer für klare Ansagen. Meine Teams standen immer für mannschaftliche Geschlossenheit und eine ordentliche Grundfitness.
Stehen Sie für eine bestimmte Taktik?
Kahlisch: Ich unterliege keinem System- oder Taktikzwang. Wir spielen immer das, wofür wir die richtigen Spieler haben.
Wie haben sich die Hierarchien in der Kabine in den 35 Jahren verändert?
Kahlisch: Wir hatten ja nie Stars. Bei uns haben immer alle mit angefasst, wenn es um Ballnetze oder Wasserkästen ging. Ich auch. Die Spieler hätten keinen Respekt vor mir, wenn ich wie ein General dastehen würde.
Also funktioniert die Kabine noch wie vor 35 Jahren?
Kahlisch: Heute legen die Spieler mehr Wert auf ihre Frisuren und auf Pflege. Wenn zu Regionalliga-Zeiten das Fernsehen dabei war, war das besonders zu merken.
Das englische Fußballmagazin FourFourTwo kürte 2023 den englischen Amateurtrainer Brent Peters für 25 Jahre Amtszeit bei Bacup Borough als Weltrekordhalter. Tatsächlich dürfte dieser Rekord Ihnen gehören, zumindest im Profifußball und im leistungsorientierten Amateurfußball.
Kahlisch: Das ist mir nicht wichtig. Es macht mir Spaß, mir geht es nicht um Rekorde.
Aber auf einen Weltrekord könnte man doch stolz sein.
Kahlisch: Stolz bin ich darauf, was wir in Rathenow mit sehr wenig Geld erreicht haben. Wir haben viele Jahre in der Regionalliga gegen große Traditionsvereine gespielt. Und das mit Jungs, die keiner kannte. Und wie sich das Stadion entwickelt hat, kann sich auch sehen lassen.
Die Entwicklung Rathenows zu einem überregional anerkannten Fußballstandort gilt als Ihr Lebenswerk.
Kahlisch: Das war ich nicht alleine. Ich habe immer viele Helfer gehabt, denen ich sehr dankbar bin.
Sie sind 67 Jahre alt. Haben Sie sich auf der Trainerbank ein Limit gesetzt?
Kahlisch: Nein. Die Arbeit mit den jungen Leuten hält mich jung. Solange ich mich so fühle wie jetzt, gibt es kein Limit.