TSV Ziemetshausen: Memmingen statt 1860

Beim TSV Ziemetshausen aus dem schwäbischen Landkreis Günzburg in Bayern ist Georg Stötter schon seit 1995 in verantwortlicher Position tätig. Seit 2004 fungiert der 71-Jährige als Abteilungsleiter Fußball. Ein so gefragter Mann wie in diesen Tagen war Stötter allerdings nur selten. "So viele Nachrichten bekomme ich sonst nie", sagt der rührige Funktionär im Gespräch mit FUSSBALL.DE.

Die große Resonanz im Umfeld, aber auch das deutlich gestiegene Medieninteresse am Aufsteiger in die Bezirksliga Schwaben Nord hat einen guten Grund. Schließlich sorgte Georg Stötter bei der Auslosung der ersten Runde zum bayerischen Verbandspokal in der Spielbank Bad Kötzting für ein echtes Novum. Er "verschmähte" den TSV 1860 München , der sonst als Wunschgegner sämtlicher kleiner Amateurklubs in Bayern gilt.

Kreispokalsieger dürfen Gegner aussuchen

Zum Hintergrund: Schon seit vielen Jahren findet die überregionale Pokalauslosung des Bayerischen Fußball-Verbandes (BFV) nach einem besonderen Prozedere statt. In einem Lostopf befinden sich die 22 Kreispokalsieger, im anderen alle anderen 42 Teilnehmer der ersten Runde, unter anderem aus der 3. Liga, Regionalliga Bayern oder der Bayernliga. Gezogen wird zunächst nur aus dem Topf der 22 Außenseiter, die sich dann nacheinander ihre jeweiligen Gegner aus dem zweiten Topf aussuchen dürfen.

"Unserer Mannschaft liegen Derbys"

Wegen der Aussicht auf den größtmöglichen Besuch und damit in der Regel auch auf die höchstmögliche Einnahme hatte der erstgezogene Kreispokalsieger in den vergangenen Jahren bislang immer den früheren Bundes- und aktuellen Drittligisten TSV 1860 München mit seiner großen Fanbase als Wunschgegner ausgewählt. Schließlich gelten die Fans der "Löwen", die zuletzt bis 2017 der 2. Bundesliga angehörten, als besonders reisefreudig und sind außerdem im gesamten Bundesland verteilt.

Ungläubiges Staunen und viele Fragen

Als diesmal jedoch der TSV Ziemetshausen als erster Klub gezogen wurde, entschied sich Georg Stötter als Vereinsvertreter jedoch nicht für die "Sechz'ger" - und auch nicht für andere attraktive Gegner wie etwa die beiden weiteren Drittligisten SpVgg Unterhaching und Titelverteidiger FC Ingolstadt 04 oder auch Traditionsklubs aus der Regionalliga Bayern wie den FC Würzburger Kickers, die SpVgg Bayreuth und den 1. FC Scheinfurt 05. Den "Zuschlag" für ein Gastspiel in Ziemetshausen erhielt vielmehr der FC Memmingen, der gerade aus der Regionalliga in die Bayernliga Süd abgestiegen ist.

Damit sorgte Stötter im Saal zunächst für ungläubiges Staunen - und auf seinem Handy für den Eingang zahlloser Nachrichten. "Aus unserem Ort und Umkreis, aber sogar auch aus dem Nürnberger Raum haben sich einige Leute gemeldet", verrät der TSV-Abteilungsleiter - und fügte noch mit einem Grinsen hinzu: "Viele von denen konnten uns überhaupt nicht verstehen und fragten, ob wir deppert wären?"

Umzug in anderes Stadion "nicht reizvoll"

Dabei hatte Georg Stötter direkt eine einleuchtende Erklärung für seine überraschende Entscheidung parat. "Unser Stadion ist nicht so groß. Schon bei etwa 700 bis 800 Zuschauern wird es zu eng, da wir bei einem solchen Spiel wegen der Fangzäune alle Fans auf nur einer Seite unterbringen müssten", so der Abteilungsleiter. "Daher können wir uns die ganz großen Gegner nicht aussuchen. Wir backen lieber kleinere Brötchen, weil wir unbedingt daheim spielen und das Spiel auch als Event feiern wollen. Daher haben wir uns für ein Derby entschieden. Memmingen ist nur 57 Kilometer von Ziemetshausen entfernt."

Dabei handelte Georg Stötter keineswegs im Alleingang. Obwohl vor der Auslosung die Chance gerade einmal bei etwas über 4,5 Prozent lag, dass der TSV Ziemetshausen als erster Kreispokalsieger gezogen werden könnte, hatten sich die Verantwortlichen im Vorfeld für den Fall der Fälle bereits abgestimmt. "Dabei hat unsere Diskussion schnell zu diesem Ergebnis geführt. Da der TSV 1860 sicherlich von mehr als 2000 Fans begleitet worden wäre, hätten wir das Spiel - wenn überhaupt - in einem fremden Stadion austragen müssen. Dadurch wäre der Reiz für uns fast völlig verloren gegangen."

Schließlich hat der Verein gerade in seine Platzanlage in den zurückliegenden Jahren viel investiert. Ein komplett neues Sportheim wurde errichtet, das Flutlicht durch eine LED-Anlage ersetzt und ein Rasenroboter für die optimale Pflege des Platzes angeschafft. "Dennoch sind wir als Dorfverein komplett schuldenfrei und wollen das auch bleiben", sagt Georg Stötter nicht ohne Stolz.

Stötter: "Unserer Mannschaft liegen Derbys"

Hinzu kommt: Sportlich sind die Chancen des Klubs aus der 3000-Seelen-Gemeinde Ziemetshausen am Dienstag, 6. August (ab 18.30 Uhr), gegen den Fünftligisten aus dem Allgäu sicherlich auch ein wenig höher, als es gegen die Münchner "Löwen" der Fall gewesen wäre. "Unserer Mannschaft liegen Derbys", meint Georg Stötter.

Selbstvertrauen sammelte das Team zuletzt auch reichlich. Nach dem durchaus überraschenden Double aus Kreisliga-Meisterschaft und Kreispokalsieg startete die Mannschaft von Trainer Benjamin König gerade erst mit einem 8:0-Auswärtserfolg bei der SpVgg Ellzee eindrucksvoll in die neue Pokalsaison und freut sich jetzt noch mehr auf das Duell mit dem FC Memmingen.

SSV Kasendorf hofft jetzt auf Traumkulisse

Noch glücklicher allerdings waren bei der Verbandspokal-Auslosung die Vertreter eines anderen Vereins. Als zweiter Kreispokalsieger wurde nämlich der SSV Kasendorf (Kreisklasse Bamberg/Bayreuth/Kulmbach) aus dem Lostopf gezogen - und erfüllte sich prompt den Traum vom Wunschlos TSV 1860 München.

"Nach dem ersten Los dachte ich schon, dass die Spannung raus ist. Aber so ist das natürlich überragend für uns", meinte Kasendorfs Vorsitzender Bastian Hugel, nachdem er sich bei Georg Stötter persönlich für die ungewöhnliche "Zurückhaltung" bedankt hatte: "Wir hatten schon mal den 1. FC Nürnberg bei uns im Stadion zu Gast, da waren ungefähr 4500 Fans da. Da wollen wir wieder hin."

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Beim Pokalsieg 2023/2024: der TSV Ziemetshausen

Autor*in
Autor/-in: Ralf Debat/ MSPW

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