Linder: "Mädchen brauchen Vorbilder"

Aufgrund der aktuell laufenden FIFA Frauen-Weltmeisterschaft und der zuletzt beendeten U 19-Europameisterschaft wird dem hochklassigen Frauenfußball in Deutschland derzeit eine hohe Aufmerksamkeit zuteil. Damit junge Frauen den Traum von der Bundesliga und Nationalmannschaft leben können, braucht es allerdings eine stabile Basis - die Amateurvereine. FUSSBALL.de hat mit Petra Linder, Amateurin des Jahres 2022 und Trainerin, Spielerin sowie Funktionärin des TSV Frommern, über die Entwicklung des Mädchen- und Frauenfußballs gesprochen und einen Einblick in den Stand der Dinge an der Basis erhalten. 

FUSSBALL.de: Frau Linder, welche Chancen bietet der Frauenfußball für Vereine?

Petra Linder: Durch die Aufnahme von Frauen werden die Strukturen und die Vielfalt des Fußballvereins gestärkt. Daraus ergibt sich eine verbesserte Möglichkeit zur Schaffung von Rahmenbedingungen hinsichtlich der Ausbildung und Förderung von Jugendlichen. Das betrifft sowohl die weiblichen als auch die männlichen Mitglieder.

Warum sollten Amateurvereine in den Frauenfußball investieren?

"Durch die Aufnahme von Frauen werden die Strukturen und die Vielfalt des Fußballvereins gestärkt"

Linder: Da gibt es mehrere Gründe. Einerseits, um die Mitgliederzahlen, das Engagement von ehrenamtlichen Helfer*innen und letztlich das Vereinsbestehen langfristig zu sichern. Dafür ist eine Investition in den Frauenfußball meiner Meinung nach fast zwingend notwendig. Andererseits wird es in Zukunft schwierig sein, Amateurvereine und Ehrenämter wie bisher zu erhalten, insofern keine Zusammenarbeit zwischen Frauen und Männern in Amateurvereinen besteht. Unabhängig davon sollte es das primäre Ziel von Amateurvereinen sein, jungen Mädchen und Frauen die Möglichkeit zu geben, Fußball spielen und sich weiterentwickeln zu können.

Ist aktuell ein Boom in den weiblichen Amateurteams zu spüren?

Linder: Meiner Meinung nach ja. Vor ein paar Jahren war das Interesse etwas rückläufig, aber aktuell ist ein deutlicher Aufwind zu spüren, vor allem an der Basis. Die Europameisterschaft der Frauen im vergangenen Jahr hat in der Hinsicht ganz klar einen Push gegeben, sodass immer mehr Mädchen Fußball spielen wollen - und auch dürfen.

Was braucht es, um einen Boom - über große Turniere wie eine WM hinaus - zu nutzen?

Linder: In erster Linie braucht es Vereine, die den Frauen- und Mädchenfußball unterstützen und fördern. Zudem sind Verantwortliche wie Trainer*innen und Betreuer*innen, die sich in Amateurvereinen engagieren, essenziell. Werbung spielt auch eine große Rolle. Dabei geht es nicht nur um Marketing über soziale Netzwerke, sondern auch um das Schaffen von Aufmerksamkeit in Schulen und Kindergärten. Jeder Fußballverein sollte Mädchen die Chance geben, in den jüngeren Jahrgängen bei den Jungs zu trainieren und zu spielen. Dass Mädchen Fußball spielen können und wollen, sollte nicht als außergewöhnlich, sondern als normal angesehen werden. Desweiteren ist es zwingend notwendig, dass den Spielen der Google Pixel Frauen-Bundesliga und der Frauen-Nationalmannschaft ähnliche Sendezeiten wie den Männern zugeteilt werden, um die mediale Aufmerksamkeit und Akzeptanz zu stärken - obwohl die Einschaltquoten momentan noch nicht so hoch sind.

Welche Faktoren sind für die Weiterentwicklung des weiblichen Amateurfußballs essenziell?

Linder: Da gibt es viele unterschiedliche Aspekte. In erster Linie braucht es natürlich mehr Vereine, die Mädchenfußball anbieten. Zudem ist es wichtig, Frauen den Weg in Führungspositionen oder in den Ausschuss der Vereine zu ebnen. Sie müssen ebenso in Entscheidungsprozesse eingebunden werden, damit sie ein Bewusstsein für die Probleme und Bedürfnisse der Teams erlangen können. Eltern, die bei fehlenden Übungsleiter*innen in der Jugend die Trainer*innen unterstützen, sind von enormer Bedeutung, genauso wie die Gleichstellung von Mädchen- und Frauenmannschaften gegenüber Jungs- und Männerteams - das betrifft vor allem die Förderung und fortschreitende Angleichung durch finanzielle Mittel, Trainings- und Spielzeiten sowie die Umkleiden. Auch an Sponsoren, die den Mädchen- und Frauenfußball unterstützen, darf es nicht fehlen. Zuletzt braucht es eine gesteigerte mediale Aufmerksamkeit für die Google Pixel Frauen-Bundesliga und die Profiteams, da Mädchen Vorbilder brauchen, denen sie nacheifern können. All diese Faktoren haben sich in den vergangenen Jahren im professionellen Bereich stark verbessert, was sehr positiv ist, wenn man einen Vergleich mit den Strukturen vor 20 Jahren zieht. Trotzdem ist es notwendig, diese Entwicklung weiter voranzutreiben, damit die Amateurvereine weiterhin existieren und davon profitieren können. Der Amateurfußball ist die Basis, ohne die es keinen Profifußball gäbe - dessen muss man sich immer bewusst sein.

Autor*in
Autor/-in: Anna Becker