"Julian war unser Spielmacher"
Am Mittwoch war die New York Times da, jetzt kennen auch die Leute im "Big Apple" den FC Issing. Etwas mehr als 1000 Einwohner hat Issing, ein Ortsteil der Gemeinde Vilgertshofen im Landkreis Landsberg am Lech. 60 Kilometer sind es bis Augsburg, zehn mehr bis München. Dass jetzt fast die halbe Welt das Pfarrdorf kennt, liegt an einem 36-Jährigen.
Julian Nagelsmann heißt er, ist Trainer der deutschen Nationalmannschaft und hat beim FC Issing noch viele Bekannte. Bei dem Verein aus der Kreisklasse hat der Fußballlehrer, der die DFB-Auswahl im eigenen Land zum Titel der EURO 2024 führen soll, startete die Karriere des einst jüngsten Cheftrainers der Fußball-Bundesliga.
Günther Fent, erster Vorsitzender des FC Issing, erinnert sich an gemeinsame Aufstiegsspiele "mit dem Julian".
FUSSBALL.DE: Herr Fent, steigt am Freitag die große EM-Party in Issing?
"Julian ist ein Junge aus Issing, er ist früher mit dem Fahrrad hier durchs Dorf gefahren. Er weiß, wo er herkommt und wird sicher nach der EM in seiner Heimat vorbeischauen"
Günter Fent: Groß ist relativ (lacht). Wir gucken die Deutschland-Spiele immer mit mehreren Fußball-Fans bei uns im Sportheim. Das sind mal 30, manchmal aber auch nur zehn Leute. Wer Lust hat, der ist dabei, schließlich macht Fußball schauen mit mehreren Menschen einfach mehr Spaß. Letztens sind ein paar Motorradfahrer vorbeigekommen und haben gesagt, wir wollten mal gucken, wo Julian Nagelsmann früher gekickt hat.
Wie war Julian Nagelsmann denn früher?
Fent: Er hatte immer viel Selbstbewusstsein, konnte eine Mannschaft mitreißen und war auch in jungen Jahren schon eine richtige Führungsfigur. Er kam ja schon als ganz kleiner Junge zum FC Issing und ist dann später in der Jugend erst zum FC Augsburg und dann zu 1860 München gegangen. Nachdem er wegen eines Knorpelschadens im Knie seine aktive Karriere beenden musste, ist er aber noch einmal für uns aufgelaufen. Das war in der Saison 2010/11, da war er schon Jugendtrainer bei 1899 Hoffenheim und konnte deshalb nicht regelmäßig trainieren, sonntags war er aber oft dabei. Wir sind in diesem Jahr aufgestiegen, mit Julian als unserem Spielmacher und unter anderem unserem jetzigen Spielertrainer Tobias Vief im Team. Ich saß meisten auf der Bank, da ich zwölf Jahre älter als Julian bin und mich damals am Ende meiner aktiven Karriere befand.
Haben Sie danach Kontakt zu ihm gehalten beziehungsweise seinen Werdegang besonders genau verfolgt?
Fent: Natürlich! Wenn ein Junge aus demselben Verein so eine Karriere hinlegt, dann ist man unendlich stolz und fiebert mit. Wir sind mit einem kompletten Bus nach Hoffenheim gefahren, als er dort Cheftrainer wurde, und haben uns nach dem Spiel mit ihm unterhakten. Als er dann nach Leipzig gewechselt ist, riss der Kontakt ein wenig ab, aber Julian ist er immer wieder mal hier gewesen, seine Mutter in Landsberg und seine Freunde besuchen.
War es für Sie ein Nachhausekommen, als er Chefcoach beim FC Bayern wurde?
Fent: Ehrlich gesagt, fand ich den Schritt vor drei Jahren noch etwas zu früh, aber klar habe ich mich gefreut, dass er Trainer in München wurde. Ich bin selber Bayern-Fan, wie viele beim FC Issing, die Julian noch persönlich kennen.
Und jetzt ist er Bundestrainer, das wichtigste Traineramt im Land…
Fent: Das ist eine ganz tolle Geschichte, zumal er nach seiner Zeit beim FC Bayern noch einen Vertrag in München hatte und etliche andere Anfragen von Vereinen aus der ganzen Welt. Aber er hat aus Liebe zum Fußball und zum Trainerjob den Vertrag bei den Bayern für diese unglaublich reizvolle Aufgabe aufgelöst. Die Nationalmannschaft bei einer Europameisterschaft im eigenen Land zu trainieren – besser geht es doch gar nicht!
Nach dem EM-Sieg kommt er dann mit dem Pokal beim FC Issing vorbei?
Fent: Das wäre großartig, aber bisher ist in der Hinsicht nichts geplant. Ich denke auch, dass er das vorher nicht ankündigen würde, denn dann würde es hier einen Riesentrubel geben. Vor drei Jahren war er einmal bei einem Heimspiel bei uns auf dem Platz, das war zu Beginn seiner Zeit als Bayern-Trainer, da sind die Spieler unserer ersten Mannschaft in der Halbzeitpause zu ihm gegangen und haben ihn begrüßt. Julian ist ein Junge aus Issing, er ist früher mit dem Fahrrad hier durchs Dorf gefahren, und ich bin mit seinem Bruder André in eine Schulklasse gegangen. Er weiß, wo er herkommt und wird sicher nach der EM in seiner Heimat vorbeischauen. Mal sehen, ob wir dann ein Treffen arrangieren können, ohne dass zig Kamerateams dabei sind (lacht).